Sonntag, 5. Oktober 2014

Tana, den 27.9.14
Ich staune täglich, wie wir die Widerlichkeiten immer mehr in den Griff kriegen, wie wir mehr und mehr Schönes entdecken, wie unsere Augen täglich mehr den Afrikablick bekommen - und ja, wie unser Französisch immer besser wird!

Von den Widerlichkeiten habe ich ja bereits berichtet.

Wo sind die Schönheiten? Diese gibt es nämlich nicht nur im Regenwald.
Da ist bspw. der Verkehr.
Es gibt schlicht keine schimpfenden Verkehrsteilnehmer in Tana! Und das, obwohl hier Zebukarren neben Lastwagen, Velos neben Taxis, Fussgänger mit schweren Handkarren neben Autofahrern unterwegs sind. Und dazwischen solche Scootyfahrer wie ich :) Alle bahnen sich ihren Weg (es gibt keine Lichtsignale, die würden bei den häufigen Stromunterbrüchen sowieso nicht richtig funktionieren / es gibt keine Mittelstreifen und keine Verkehrsregelung) und es passieren praktisch keine Unfälle. Wenn, dann Pannen, aber nicht Unfälle. Ist das nicht phantastisch?
Ein anderes Beispiel: Die Tiere
Hühner sieht man überall. Hennen mit ihren Kücken und einsame, stolze Hähne. Sie sind am Strassenrand am Ungeziefer picken oder auf den ungeteerten Wegen gehören sie schlicht zu den "Verkehrsteilnehmern".
Oder die Zebus. Hart arbeitende Rinder, welche im tiefen Wasser den Pflug ziehen, gesteuert von den Männern, damit anschliessend die Frauen und Kinder die Reispflanzen setzen können.Die Zebus ziehen Karren oder dürfen zwischendurch auch mal grasen (obwohl von Gras hier keine Rede sein kann. Es sind eher trockene Stoppeln)
Und die Hunde. Leise, unbemerkt schleichen sie tagsüber durch die Wege. Hündinnen mit hängendem Gesäuge, Welpen, ruhende Rüden. Aber nachts, da sind sie unüberhörbar! Dann rotten sie sich zusammen, kämpfen, heulen wie die Wölfe und sind überall gleichzeitig. Zu Beginn unserer Tana-Zeit haben mich diese Hunde mit ihrem Gebell häufig vom Schlaf abgehalten.
Und heute, wenn ich nachts mal erwache, entlockt mir ihr Gebell ein Lächeln. "Ach ja, ich bin in Tana."
Etwas weiteres Schönes sind die Babies. Es gibt sehr viele Kinder. Durchschnittlich sind die Mädchen mit 15 Jahren zum ersten Mal Mutter. Die Säuglinge werden in Tüchern auf dem Rücken oder der Seite getragen und alle sehen sie süss aus! Gestillt wird überall, genauso, wie sich niemand scheut in der Öffentlichkeit seine Blase zu entleeren... Was ich nicht so schön finde...

Und was meine ich mit dem "Afrikablick"?
Zu Beginn nahm ich nur eine geballte Ladung von Farben, Formen und Menschen wahr, wenn ich durch die Strassen fuhr. Unterdessen erkenne ich Läden, weiss wo "Strassen" abzweigen, sehe den Unterschied zwischen Strassenkindern und anderen und weiss ungefähr, wo der Flughafen liegt und wo die Stadt. Als ich vergangenen Mittwoch mit Naphtali auf dem Rücksitz mit dem Scooty in die Stadt fuhr (das erste Mal allein!) und auf dem Rückweg prompt in den Stau geriet, konnte ich mich gekonnt zwischen den anderen Verkehrsteilnehmern hindurchschlängeln wie ein richtiger Afrikaner! Ich war mega stolz, dass ich das geschafft hatte!
So nehme ich immer mehr "Land" ein, überwinde meine Ängste und werde immer sicherer. So ist es auch nicht mehr so schwierig mit Hindernissen umzugehen.

Und dann das Französisch.
Ich dachte in der Schweiz, dass ich doch etwas Französisch könne. Weit gefehlt!
Nur wenige Verben standen mir zur Verfügung und ich musste mit Händen und Füssen reden oder schweigen. Auch von den Nomen hatte ich den grössten Teil vergessen. Nach und nach kamen mir vereinzelte Wörter wieder in den Sinn, mein Reden verbesserte sich - wenigstens aus meiner Sicht - und dann kam ich wieder an eine Grenze. Nämlich an jene, welche ich in den vergangenen Jahren nie mehr ausgelotet hatte.
Ich blieb dran, wollte nicht aufgeben, unterrichtete auch Naphtali weiter - ja, und nun durfte ich gestern erleben, dass ich während des Team-Meetings nicht mehr fragen musste. Ich verstand! Und ich anwortete! Und ich erzählte! Und wurde verstanden! Auf französisch!
Das tat echt gut.
Naphtalis Lieblings-Wächter, welcher recht gut französisch spricht (die Madagassen können das "sch" nicht ausprechen, das tönt oft ganz drollig), arbeitete diese Woche drei Tage auf unserem Compound. Und was macht Naphtali? Er beginnt zu antworten, versteht, was der Wächter ihn fragt! Noch ganz einfach Sätze, aber es geht!

Und zum Abschluss nochmals etwas Schönes:
Am vergangenen Sonntag begann unser Kühlschrank zu kränkeln. Dann setzte er ganz aus - am Montagabend lief der Motor wieder. Nicht mehr krank? Weit gefehlt. Am Mittwoch starb er endgültig. Geräte werden in Madagascar nicht alt. Das liegt daran, dass sie häufig Stromunterbrüche erleiden müssen und das Wasser mit wenig Druck und unsauber geliefert wird (Waschmaschine).
Zurück zu unserem Frigo:
Ich tel am Mittwochabend mit Beat und bereits am Donnerstagabend stand ein neuer Kühlschrank in unserer Küche. Prompte Dienstleistung der Helimission, welche ihre Mitarbeiter wirklich nie im Stich lassen. Gänzlich unafrikanisch!

Ich wünsche Euch einen gesegneten Sonntag!
Claudia
(Naphtali durfte heute den ganzen Tag mit einer anderen Familie einen Ausflug machen und ich habe frei. Zeit zum Schreiben, Lesen, Lisme (nicht lachen, ich stricke Socken für unsere Rückkehr in die kalte Schweiz), Ausruhen und die Sonne geniessen




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