Samstag, 30. August 2014

Tana, den 30.8.14

Es ist unglaublich und nahezu unbeschreibbar, was wir hier alles erleben.
Ich versuch`s trotzdem mit meinem Tagebuch-Auszug von heute:
Heute morgen konnte ich mit Marianne (der Frau meines Chefs. Er ist der Leiter der Helimissionsarbeit in Madagaskar) in die Stadt fahren. Naphtali blieb bei Burkhardts und genoss seine freie Zeit mit den Kindern des Campbounds. Kurz bevor wir mit unserem Scooter bei ihrem Haus vorfuhren, entdeckten wir auf der Fussballwiese einen WIEDEHOPF! Noch nie in meinem Leben sah ich diesen Vogel in einer lebendigen Ausgabe, auch nicht in der Schweiz!
Die Strecke von Burkardts bis zum Leaderprice (lebensmittelladen) kannte ich bereits.
Aber dann gings weiter. Hügelauf, hügelab. Das Hochland, worauf sich Tana befindet, hat sehr viele Seen und viele Menschen leben vom Reisanbau.
Wir waren also am Fahren, das heisst, wir standen oder krochen im Stau. Schritttempo. Dies ist hier Alltag. Die schlechten Strassen verhindern, dass man mehr als 40 km weit kommt in der Stunde, der Stau mindert dieses Tempo auf fünf, zehn, zwanzig km. Wenn Marianne mal 30km/h fahren konnte, empfanden wir das beinahe als überwältigend schnell!
Was es unterwegs alles zu sehen gibt, würde ein dickes Buch füllen.
Das ganze, bunte, quirlige Leben eines afrikanischen Volkes. Kleine, einfache Häuser; Slumbehausungen; eine Riesenfläche angelegter Reisfelder, dazwischen grasende Zebus; Menschen, welche Ware auf dem Kopf trugen; junge Mütter mit ihren Babies, und überall feilgebotenes Gemüse, Reis, Bohnen, Plastikware und unzählige Waren mehr.
Wenn man diese Technik beherrscht, lässt sich beinahe alles auf dem Kopf transportieren: Stoff, Kleider, Früchte im Korb, Holz, ein Sack Reis, Baumaterial, die Einkaufstasche oder lebende Tiere! Heute sah ich nämlich einen Mann, welcher vier Gänse oder Enten auf seinem Kopf transportierte. Diese blieben ganz brav im Korb sitzen!
Die Wäsche wird an einem grossen, überdachten Brunnen oder in einem stehenden oder fliessenden Gewässer gewaschen. Zum Trocknen legt man sie auf Wiesen oder hängt sie über Zäune. Ich sah ganze Wiesen voller Wäschestücke wie ein Riesenblumenteppich.
Was wollten wir eigentlich in der Stadt?
Kleider und Postkarten kaufen und Ersatzteile für die defekte Waschmaschine von Burkhardts suchen. Postkarten fand ich tatsächlich (gibt`s nämlich in unserer Gegend keine), etwas Kleider auch. Allerdings schätzte ich Naphtali zu klein ein und wir können die beiden Hosen und das Langarmshirt gleich weiter schenken...

Einen ungefähren Tagesablauf von uns:
Der Wecker rasselt um 05:50. Ich bete, stehe auf, füttere unsere Katzen, reinige ihr Klo, gehe duschen und richte das Frühstück. Wir essen ca. um 06:45. Dann ab- und aufräumen, Zähne putzen und dann auf in unser Schulzimmer.
Wir leben hier nicht weit von der Tag- und Nachtgleiche und das bedeutet, dass es morgens um sechs hell ist und abends um dieselbe Zeit stockdunkel. Da es erst Ende Winter ist jetzt, ist es morgens und abends noch recht kühl, sodass wir einen Faserpelz anziehen müssen. Über Mittag und nachmittags sind die Temperaturen sommerlich, so um die 26 Grad Celsius.
Zurück zum Schulzimmer.
Wir starten mit ein, zwei Liedern und anschliessend schreibt Naphtali in sein Tagebuch. Wir fahren mit Mathe weiter und anschliessend mit Deutsch. Um zehn Uhr stösst Kay dazu. Er ist Autist und kürzlich neun Jahre alt geworden. Er braucht eine ganz andere Form von Aufmerksamkeit von mir als Naphtali. Sehr schnell sind seine Gedanken in seiner eigenen Welt und es gilt ihn immer wieder zurückzuholen. Während dieser zwei Stunden, in welchen Kay bei uns weilt, arbeitet Naphtali selbständig. Er schreibt Aufsätze, Zusammenfassungen über das Leben in Madagaskar, zeichnet die exotischen Pflanzen in unserem Garten, oder fährt zu Marianne zur Englischstunde.
Um zwölf ist es Zeit zum Kochen.
Der Nachmittag ist den Hausaufgaben, den Vorbereitungen für den Schulunterricht des kommenden Tages, dem Einkauf oder dem Besuch von Freunden gewidmet. Um 17:30h sind wir spätestens wieder zuhause, da es dann zu dämmern beginnt und es nicht mehr ratsam ist, als Frau alleine im Freien zu sein.

Wächter
Unser Haus liegt nicht in einem Campound. Ein solches ist eingemauert und beherbergt im Schutz der Mauern mehrere Häuser. Diese sind immer von besser gestellten Einheimischen oder Europäern bewohnt. Wir also wohnen in einem Haus mit einem grossen Garten. Dieser ist eingemauert. Tag und Nacht weilt ein Wächter bei uns innerhalb der Mauern. Die Wächter haben zwei Arbeitsschichten. Die eine dauert von 18:00h bis 07:00h, die andere von 07:00h bis 18:00h. Die Wächter, die Mauer, das Eisentor, der Stacheldraht auf der Mauer und unser Hund dienen unserem Schutz.
Naphtali ist bereits mit allen Wächtern befreundet. Er geniesst es, dass immer ein Mann um`s Haus herum ist. Tagsüber sind sie am Gärtnern oder Reparieren.

Naphtali
Trotz Sprachbarrieren (es hat Schweizer, Franzosen, Südafrikaner, Holländer und Madagassen darunter) hat sich Naphtali bereits mit allen Buben angefreundet, welche sich in unserem Berührungsumfeld befinden. Mit den Strassenkindern, welche gleich nebenan ihren Unterschlupf haben, darf er allerdings nicht spielen. Meist werden diese von Bossen im Hintergrund befehligt, welche nur darauf aus sind weisse Kinder zu kidnappen für ein Lösegeld. Aber das macht Naphtali nicht viel aus, dass wir zum Spielen jeweils zwei, drei Kilometer mit dem Scooter fahren müssen.
Eine andere Möglichkeit hat er am Dienstag- und Donnerstagnachmittag. Da fährt er bereits um 11:00h mit dem Taxi zu Marianne für den Englischunterricht. Und anschliessend hat er Zeit bis um 17:00h, um mit den Kindern jenes Campounds zu spielen.

Nun ist 20:00, Zeit für`s Bett. Naphtali wird gleich schlafen. Ich lese jeweils noch etwas und schlafe auch bald. Unser Körper hat voll auf Winter umgestellt, wo man ja bekanntlich mehr Schlaf braucht. Das bedingt in dieser Gegend die frühe Dunkelheit. Ich kriege keine korrekten Sätze mehr auf die Reihe.
Shalom, Ihr Lieben alle, Claudia

Sonntag, 24. August 2014

Tana, den 24.8.14 (Tana = Abkürzung für Antananarivo)
langsam aber sicher holt uns die Realität ein...
Die ersten drei, vier Tage waren ausgefüllt mit Neuem, Neuem, Infos... Augen, Ohren, Nasen und die Seele wurden nonstop gefüttert mit Eindrücken. Aber jetzt merken wir, die Armut, welche uns umgibt, der Unrat, die Slums, die verdreckten Menschen ohne Vision sind echt.
Wir sind angekommen.
Zuerst hatten wir einfach nur Freude, weil wir wussten, dass wir am richtigen Ort sind. Wir freuten uns an den bunt gekleideten Menschen, dem Treiben auf allen Wegen (es gibt nur eine Strasse, welche diese Bezeichnung verdienen würde. Diese führt vom Flughafen in die viele Kilometer entfernte Hauptstadt. Auch wir hier in Ivato gehören zwar zu Tana, aber es ist eine 10Mio-Stadt und entsprechend riesig sind die Entfernungen)
Nun kommt etwas Ratlosigkeit auf, schaffen wir das? Heute, nach dem Gottesdienst (zwar auf englisch, da der Prediger Südafrikaner ist), der richtig afrikanisch ablief mit lautem Gesang und viel Freude an der Errettung durch Jesus, kam ich mit einer jungen Frau in`s Gespräch. Sie ist zusammen mit ihrem Mann und den drei Söhnen seit einem Jahr ebenfalls für die Helimission in Madagaskar tätig. Bei ihr nun spürte ich sofort, dass wir "das Heu auf der gleichen Bühne haben", wie man so schön sagt auf deutsch. Sie verstand mich in allem, wusste, was ich brauche und wird mir nächste Woche, soweit möglich, behilflich sein.

"Essen" heisst eine meiner Schwierigkeiten. Es gibt nur weisses Brot, Milchprodukte sind rar und falls vorhanden, fad. Gemüse und Früchte sind mit Fäkalbakterien durchdrungen und brauchen eine lange, komplizierte Reinigungsprozedur, damit unsere europäischen Organismen nicht durchdrehen. Generell ist die höchste Qualität in den Läden hier bei unserern schweizerischen M-Budget-Produkten anzusetzen, aber davon gibt es nur wenig. Die meisten Lebensmittel liegen auf einem Level, welcher weit darunter liegt.

"Unsere" Katzen bringen täglich Schlangen, Geckos, Chamäleons und anderes Getier in`s Haus, welches sie unter Knurren und Drohen fressen...

Die Bewohner in unserer Umgebung verbrennen den Abfall, welcher überall rumliegt, um damit ihre Speisen zu kochen. Abfall, welcher brennt, riecht unangenehm. Dieser Geruch liegt permanent in der Luft. Daran habe ich mich noch nicht gewöhnt. Auch benutzen die meisten Leute den Strassenrand, die vielen Seen hier oder irgendwelche Einfahrten als Klo...

Wasser aus dem Wasserhahn ist ebenfalls ungeniessbar. Es muss in einer langwierigen Prozedur gefiltert werden, damit es konsumiert werden kann. Allerdings schmeckt es anschliessend nicht etwa gut, sondern dem Wasser in unseren schweizerischen Schwimmbädern ähnlich.

Ja, so sieht die Realität aus. In groben Zügen geschildert. Da Naphtali und ich aber die völlige Gewissheit haben, dass Gott uns hieher gerufen hat, lassen wir uns nicht unterkriegen. ER wird uns Wege aufzeigen, welche auch für uns begehbar sind.
Alles Neue schafft zuerst Chaos, das weiss ich aus Erfahrung. Nun gilt es dieses Chaos in den Griff zu bekommen und in eine Ordnung zu bringen.

Herzliche Grüsse aus der weltweit bekanntesten Pirateninsel (moderner ausgedrückt heisst Madagaskar zwar "Rote Insel")
von Claudia und Naphtali