Freitag, 5. September 2014

Tana, den 5.Sept.14

Unsere Situation hat sich geändert.
Naphtali  begann am Mittwochabend zu erbrechen. Stunde um Stunde. Dann kam noch Durchfall hinzu. Um zwei Uhr nachts hörte das Erbrechen auf.
Wir beide konnten etwa vier Stunden schlafen. Naphtali war völlig elend und erschöpft. Ich fragte bei den langjährigen Missionaren nach, ob ich ausser den üblichen Massnahmen noch etwas besonderes tun solle. Die Antwort war "nein". Die meisten Neulinge fangen irgendwann einmal einen "Käfer" ein, welcher diese Auswirkungen hat...
Gestern war Naphtali am Trinken. Tee und aus der Schweiz mitgebrachte Bouillon. Heute nun begann sich sein Appetit wieder zu regen. Er hat einige Zwieback gegessen, ist munterer, wünscht ab und zu einen Besuch von einer unserer Katzen, aber sonst mag er noch gar nichts.
Eine Freundin wird mir gegen Mittag Äpfel bringen, damit ich ihm ein Kompott kochen kann.
Ab morgen darf er dann auch wieder Reis essen.

Ansonsten geht es uns gut.
Wir haben uns beide an den gemeinsamen Schulalltag gewöhnt.
Kay kommt ebenfalls sehr gerne zu uns.

Seit drei Tagen ist es echt kalt geworden. Vorher machte es den Anschein, wie wenn der Frühling nun nicht mehr weit wäre, aber nun ist der Winter zurückgekommen. Es ist auch tagsüber nicht mehr als 12, 15 Grad, nachts ist es etwa 8 - 10 Grad. Ich habe gehört, dass es in Winterthur nicht viel anders ist, ausser dass es bei uns hier nicht regnet.

Momentan werden die Missionarsfamilien recht angegriffen. Vor zwei Wochen wurde ein Mädchen plötzlich sehr krank, musste in`s Spital. Diagnose: Lungenentzündung. Sie ist unterdessen wieder wohlauf. Drei Tage später fiel ein siebenjähriger Knabe von einer hohen Mauer. Diagnose: gebrochenes Handgelenk, gestauchte Organe. Am Dienstag diese Woche erzählte mir Marianne, dass der Arzt ihr mitgeteilt habe, dass das kleine (nur Kleinfingernagelgross) Geschwür in ihrem Gesicht Hautkrebs sei. Und nun noch Naphtali. Er allerdings mit dem kleinsten Übel von allen.

Hier gehts es allerdings nicht zu wie in der Schweiz. Die Patienten im Spital müssen von Angehörigen ver- und gepflegt werden. Das Material (z.B. der Gipsverband für den Buben) muss in der Apotheke gekauft werden. Es gibt nur eine Apotheke hier und diese öffnet um 9:00h morgens. Der Junge fiel aber abends um 18:00h von der Mauer. Seinen Gips bekam er also erst am anderen Vormittag, denn sein Vater musste ja erst zur Apotheke fahren durch den Stau (wie gehabt :) und wieder zurück durch den Stau. Die Mutter des kranken Mädchens ist selber Krankenschwester und hatte darum diverse Medis für ihre Tochter vorrätig. Für Marianne habe ich gleich beim Autofahren gebetet. Für eine OP müsste sie allenfalls in die Schweiz fliegen, diese wird hier nicht gemacht.
Ja, es fehlt hier an allem...
An einer anständigen, genügend breiten Strasse
an Medikamenten
an Fachärzten
an medizinischem Fachpersonal
an Platz im Spital

und über all dem an der HYGIENE

Viele Kinder sterben aus Mangel an Hygiene und zusätzlich aus Mangel an Geld.
Falls die Menschen ein Einkommen haben, beträgt dieses ca. 30.- bis 50.-CHF. Somit müssen beide Elternteile arbeiten gehen, um einigermassen über die Runden zu kommen. Die kleinen Kinder werden von den älteren Geschwistern gehütet oder von einer Grossmutter, falls vorhanden. Da die Arbeitszeiten lang sind (mind. 10h, meist 12), sind diese nicht-gehüteten Kinder sich selbst überlassen, verbringen ihren Tag auf der Strasse beim Spiel, beim Stehlen, beim Betteln.

Die Menschen werden nicht älter als 60, in Ausnahmfällen 70 Jahre.

Täglich wandern mehr Menschen nach Tana ein, verlassen ihr Leben auf dem Land. Dort hatten sie genügend zu essen und konnten einigermassen leben. Sie kommen hieher ohne Papiere, ohne Französisch zu können, ohne Geld und erwarten, dass sie hier eine Existenz aufbauen können. Mit nichts.
Aber was langweile ich Euch mit solchen Geschichten. Diese sind ja bekannt von allen armen Ländern. Überall auf der Welt geht es gleich zu und her.
Die Präsidenten leben und arbeiten (falls sie arbeiten) in Palästen, haben Bedienstete, welchen sie einen Hungerlohn zahlen und ändern nichts. So ist es hier auch.

Wir waren vergangenen Sonntag für eine Stadtrundfahrt in der Altstadt. Diese muss man sich aber nicht vorstellen als eine Schönheit. Es sind nur wenige ältere Bauten vorhanden. Ein paar Kirchen, ein paar Missionarshäuser, der Palast des Präsidenten, eine Universität. Für wen eine Universität? Für die wenigen reichen Malgassen... Der Rest ist so wie hier in der Nähe des Flughafens. Baufällige Häuser, Slums, Schmutz und Gestank. Die Menschen sind nicht glücklich.
Im Gegenteil. Sie sind apathisch, leben in den Tag hinein, lungern herum, warten darauf den Touristen das Geld aus der Tasche zu klauen oder ein Almosen zu erhalten. Sie sind schmutzig, wie alles hier.
Es macht mich traurig und wütend zugleich. Jeder misstraut jedem.
Keiner glaubt, dass es jemand auch von Herzen gut meinen könnte.

Noch habe ich nicht entdeckt, was ich hier an Gutem tun könnte.
Ausser für Kay da zu sein und meine Gebete einzubringen.

Ja, Ihr merkt sicher, dass mich der Zustand der Leute sehr beschäftigt. Das Misstrauen, das bewusste Ausnutzen der Ausländer, die Visionslosigkeit und vieles mehr haben sie bereits mit der Muttermilch aufgesogen. Es durchdringt sie durch und durch.
Da kann wirklich nur Jesus eine Gesinnungsänderung bewirken.
Wir Menschen sind hier schlicht hilflos.

Nun will ich schliessen für den Moment. Naphtali braucht mich wieder.
Ich wünsche Euch allen von Herzen alles Gute und -
GENIESST EUROPA!
Denn nichts ist selbstverständlich.
Claudia

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